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Altes Eisen

„Mitarbeitende über 50 werden oft zum „alten Eisen“ gezählt. Wer diesem Schicksal entgehen will, muss sich permanent weiterbilden und auch Veränderungen akzeptieren.“, las ich kürzlich in der Bildungsbeilage meiner Zeitung. Ein eindringlicher Appell! Soll ich empört sein? Erschrecken? Ich spüre, wie sich ein Spalt auftut. Ich bin über Fünfzig. Tuschelt man bereits hinter meinem Rücken? Habe ich etwas verpasst, etwas übersehen? Ich fühle mich leistungsfähig. Meine Erfahrung ermöglicht mir, Dinge rasch einzuordnen und gleichzeitig in ungewohnten Situationen gelassen zu agieren. Schon Tausendmal habe ich mich auf Neues eingestellt, lernen ist für mich wie die Luft zum Atmen. Meint die Autorin wirklich mich?

Wie muss es erst Fünfundfünfzig-, Sechzig-, Zweiundsechzig-Jährigen gehen, die die Stelle wechseln möchten oder sie verlieren? Seit Jahren berichten die Medien, dass es ab einem gewissen Alter schwierig ist, eine Stelle zu finden. Schwierig ist es auch für Ausländer, für Behinderte, für Ungelernte, für Berufseinsteiger, für Wiedereinsteigerinnen. Entweder hat man zu viel oder zu wenig Erfahrung; entweder man hat die Stelle zu häufig oder zu selten gewechselt. Wir lesen es tagtäglich.

Solch endlos wiederholten Klischees machen den Einzelnen mit seinen je individuellen Fähigkeiten und Neigungen unsichtbar. Individuen werden zu Kollektiven zusammengefügt, dem Kollektiv werden dann bestimmte Eigenschaften zugeschrieben.1 Ältere Mitarbeitende werden beispielsweise als „unbeweglich“, „langsamer“, „kränker“, „teurer“ bezeichnet. Durchs ständige Wiederholen werden solche Zuschreibungen mit der Zeit zu Gewissheiten.

Im Coaching mit Stellensuchenden geht es deshalb häufig darum, Gewissheiten zu hinterfragen, den Fokus stärker aufs individuelle Potenzial zu richten, dieses hervorzustreichen und dabei die Situation am Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.

1 Gespräch mit Caroline Emcke, Das Magazin N°46 vom 19. November 2016