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Grenzverschiebungen

„Ein verurteilter Jihadist könne sich nicht mehr auf die Menschenrechte berufen.“ Dieser Satz, der im Nationalrat geäussert wurde, liess mich leer schlucken und ich spürte, wie sich etwas in mir zusammenzog. Die Mehrheit des Nationalrats ist offenbar der Meinung, dass Menschenrechte nicht mehr für alle Menschen gelten sollen. Wohin führt uns das, überlege ich mir, wenn wir beginnen die Grundrechte einzuschränken? Wenn nicht mehr jeder Mensch als Mensch gesehen wird?

„Wie war es für dich, fragst du?“ So beginnt eine Geschichte von Ian McEwan, die ich ein paar Tage später lese. Der Erzähler stellt nach einigem Drum-herum-Reden die Gegenfrage: „Bist du echt?“ Schrittweise wird klar, dass die beiden Figuren, die seit kurzem ein glücklich verliebtes Paar sind, in einer Welt in der Zukunft leben, in der auch Androide als Menschen gelten; sie leben in einer Welt, in der Maschinen ein Bewusstsein haben und Menschen als biologische Maschinen gelten.
Dem waren gemäss dem Erzähler jahrzehntelange internationaler Hickhacks zwischen Neurowissenschaftlern, Bischöfen, Philosophen, Politikern und der breiten Öffentlichkeit voraus gegangen. Erst als es längst überfällig war, wurde künstlichen Menschen der volle Schutz diverser Menschenrechtskonventionen gewährt, heisst es in der Geschichte.

Die Geschichte knüpft an den aktuellen Diskussionen über die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz an und schreibt sie in die Zukunft weiter. In eine fiktive Zukunft, in der kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen echten Menschen und menschengleichen Androiden.

Nachdenklich macht mich, wie derzeit einerseits Menschen als Un-Menschen von den Menschenrechten ausgeschlossen werden und andererseits intensiv daran gearbeitet wird, Maschinen zu entwickeln, die immer mehr wie Menschen funktionieren und Menschen immer ähnlicher werden. Was einen Menschen zum Menschen macht, wer und was ein Mensch ist, scheint sich unmerklich zu verändern, Grenzen scheinen sich zu verschieben. Das Mensch-Sein scheint zur Debatte zu stehen.